Die Rolle von TikTok im politischen Campaigning: Deutschland und Österreich im Fokus

TikTok hat sich innerhalb weniger Jahre von einer vermeintlichen Teenager-App zu einem ernstzunehmenden Instrument im politischen Campaigning entwickelt. Insbesondere in Deutschland und Österreich zeigt sich, dass eine Präsenz auf TikTok für Parteien, die junge Wählerinnen und Wähler erreichen möchten, längst unverzichtbar geworden ist. Aktuelle Erhebungen gehen davon aus, dass rund ein Viertel der Bevölkerung beider Länder TikTok regelmäßig nutzt. Unter den 18- bis 29-Jährigen ist der Anteil sogar noch deutlich höher. TikTok avanciert damit für junge Menschen zu einer der wichtigsten Informationsquellen – Tendenz weiter steigend.

Die Bedeutung der Plattform schlägt sich zunehmend in Wahlergebnissen nieder: Parteien, die sich intensiv auf TikTok engagieren, verzeichnen bei jungen Wählern häufig überproportionale Zustimmung. Besonders eindrücklich zeigt sich dies in den jüngsten Bundestags- und Landtagswahlen, wo vor allem die Linke und die AfD bemerkenswerte Erfolge bei den 18-24 Jährigen sowie bei der provisorischen U18-Wahl erzielten. Warum gerade die Ränder so attraktiv sind, das habe ich in einem anderen Blogpost erklärt.

TikTok Engagement zur Bundestagswahl 2025, Grafik: polisphere

TikTok als entscheidender Faktor im Wahlkampf

Während traditionelle Medien wie TV und Print weiterhin eine wichtige Rolle spielen, eignen sie sich vor allem für die Ansprache älterer Wählerschichten. Junge Menschen konsumieren Politik heute stärker über das Smartphone – und bevorzugt über Kurzvideo-Plattformen. Hier punktet TikTok durch seine unmittelbare, ungefilterte Kommunikation: Politikerinnen und Politiker können mit wenigen Handgriffen von einem Ereignis berichten, Einblicke in ihren Alltag gewähren oder auf Trend-Sounds reagieren. Die Resonanz ist direkt messbar: Aufrufe, Likes, Kommentare und Shares zeigen, wie gut eine Botschaft tatsächlich ankommt. Für viele Parteien, insbesondere für kleinere, ist TikTok eine kosteneffiziente Möglichkeit, große Reichweiten zu erzielen – ganz ohne teure Werbeslots.

Dass frühes Engagement auf TikTok zum Vorsprung führt, lässt sich an den Follower-Zahlen einiger Politiker ablesen. Während mancher Spitzenkandidat aus dem konservativen Lager erst zaghaft anfängt, haben andere längst Hunderttausende Follower aufgebaut. Diese Reichweiten spiegeln sich in Umfragen und Wahlergebnissen wider: Insbesondere Parteien wie die AfD oder die Linke, die schnell auf TikTok aktiv wurden, konnten deshalb in der Altersgruppe der unter 24-Jährigen stark zulegen.

Erfolgsstrategien auf TikTok

Auf TikTok gelten andere Regeln als in klassischen Wahlkämpfen. Im Mittelpunkt stehen kurze, emotionale Inhalte: Authentizität und Persönlichkeit sind entscheidend. Viele junge Nutzer legen Wert darauf, echte Menschen und keine bloßen Wahlkampfinszenierungen zu sehen. Politiker, die ihre persönlichen Erfahrungen teilen, etwa durch Einblicke hinter die Kulissen des politischen Betriebs oder durch humorvolle Selbstironie, wirken nahbar.

Eine erfolgreiche Strategie besteht darin, emotionale Reize zu setzen: Themen wie Gerechtigkeit, Umwelt, Bildung oder soziale Sicherheit eignen sich besonders, um Empörung, Mitgefühl oder Begeisterung auszulösen. Gleichzeitig können positive Gefühle – Humor, Hoffnung, Inspiration – der Schlüssel zu viralen Beiträgen sein. Hochpolarisierende Inhalte mögen kurzfristig mehr Klicks generieren, bergen jedoch das Risiko, große Teile der potenziellen Anhängerschaft abzuschrecken.

Ein weiterer Erfolgsfaktor liegt in der Nutzung bestehender Formate und Features:

  • Duette oder Stitches: Dabei reagieren Parteien direkt auf Videos anderer Nutzer oder politischer Kontrahenten und knüpfen an bereits vorhandene Reichweite an.

  • Hashtag-Challenges: Kreative Mitmachaktionen binden die Community ein und können enorme Viralität erzeugen, wenn sie geschickt umgesetzt werden.

  • Zusammenarbeit mit Influencern: TikToker mit einer eingespielten Community können politische Botschaften glaubwürdig transportieren und Reichweite quasi „vererben“. Voraussetzung ist jedoch, dass beide Seiten thematisch und wertemäßig zueinander passen.

TikTok vs. klassische Medien

Trotz aller Vorteile bietet TikTok weder die inhaltliche Tiefe noch das Grundvertrauen, das klassische Medien wie Zeitungen oder Fernsehformate oft genießen - wenn auch sinkend. In 60 Sekunden lässt sich zwar ein starkes Statement abgeben, aber selten ein komplexes Konzept detailliert ausführen. Wer reine TikTok-Strategien verfolgt, läuft zudem Gefahr, ältere Wählergruppen zu vernachlässigen, die weiterhin stärker auf lineare Medien und Printpresse setzen.

Ein klarer Vorzug von TikTok ist das interaktive und schnelle Format: Parteien können tagesaktuell auf Ereignisse reagieren und ein direktes Stimmungsbild aus der Zielgruppe erhalten. Traditionelle Medien sind dagegen stärker durch redaktionelle Filter und zeitliche Abläufe geprägt. Im Gegenzug bedeutet die fehlende Filterung in sozialen Netzwerken auch, dass Desinformationen leichter verbreitet werden können. Faktische Korrekturen oder journalistische Einordnungen fehlen häufig, sodass populistische Inhalte – gleichgültig ob von links oder rechts – überproportional viral gehen können.

Ausblick und Handlungsempfehlungen

Für Parteien in Deutschland und Österreich gibt es im Hinblick auf kommende Wahltermine gleich mehrere strategische Implikationen:

  1. Früh anfangen: Erfolg auf TikTok erfordert Kontinuität. Wer nur drei Monate vor der Wahl aktiv wird, baut keine nachhaltige Community auf.

  2. Professionelles Team: TikTok eignet sich nicht für halbherzige Versuche aus dem Campaign-Alltag. Ein eigenes Social-Media-Team oder die Zusammenarbeit mit erfahrenen Agenturen ist essentiell.

  3. Emotionen und Werte vermitteln: TikTok ist ein visuelles, unmittelbares Medium. Sachliche Bullet-Point-Aufzählungen führen selten zum Erfolg. Es braucht Storytelling und persönliche Einblicke.

  4. Trends aufgreifen: Wer TikTok nutzt, sollte die aktuellen Trend-Sounds, Hashtags und Challenges kennen und mit authentischen Inhalten befüllen.

  5. Integration in den Gesamtkontext: TikTok ersetzt nicht die klassische Wahlwerbung, sondern ergänzt sie. Ein strategisch ausbalanciertes Zusammenspiel von TV, Print, Online und Live-Events ist entscheidend.

Für politische Kampagnen ist TikTok längst mehr als nur ein Hype. In Deutschland und Österreich entwickelt sich die Plattform zu einem zentralen Ort der politischen Kommunikation, der insbesondere in der Ansprache junger Menschen unersetzlich ist. Parteien und Unternehmen, die diese Zielgruppen erreichen wollen, sollten daher frühzeitig in Personal, Inhalte und Strategien investieren. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer authentischen und dialogorientierten Kommunikation, die die Dynamik von TikTok für die eigenen Botschaften nutzt.



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