Was Mamdanis Online-Wahlkampf lehrt oder How to Mamdani
„…and as of today, New York is led by an immigrant.“
Der Satz markiert mehr als einen Wahlsieg. Er markiert eine Kommunikationswende: Weg vom Social-Media-Dauerrauschen, hin zu Politik, die man sehen kann. Zohran Mamdani wurde vielerorts zum „TikTok Mayor“ erklärt. Das ist nicht ganz falsch – aber irreführend, wenn man daraus ableitet, der Erfolg sei primär ein Algorithmus-Glücksfall gewesen. Tatsächlich war er das Resultat einer strengen Koppelung: überprüfbare Inhalte + plattformgerechte Distribution + analoge Beglaubigung.
Ein weit verbreiteter Irrglaube im Bereich der digitalen politischen Kommunikation lautet: Sichtbarkeit = Daueronline. Genau das Gegenteil trifft zu. Reichweite war nie Selbstzweck, sondern Folge guter „Beweisführung“. Drei Elemente waren zentral.
Erstens: Content, der sich anfassen lässt. „Tangible Politics“ statt Vibes. Statt großer Versprechen: ein Hausflur, eine Bushaltestelle, ein Kassenzettel. Politik wird nicht behauptet, sie wird gezeigt: Mieten einfrieren – mit der Adresse des Blocks, in dem die Mieten galoppieren. Öffentlicher Verkehr – an der Linie, an der es spürbar ist. Lebensmittelpreise – am Kassabon, der weh tut. Das ist mehr als Bildsprache; es ist eine Logik: Ich sehe, also glaube ich. Serielle Kurzformate stabilisieren diese Logik. Wiederkehrende Reihen („bis es erledigt ist“) liefern Rollen, Konflikt, Lösung – und zahlen auf einen Master-Frame ein: Bezahlbarkeit und Teilhabe.
Zweitens: Social Media als Operations-Layer. Wer Politik ausschließlich als Reichweiten-Wette fährt, verliert zwangsläufig gegen Katzenvideos. Mamdanis Team behandelte Social nicht als Bühne, sondern als Betriebssystem: Freiwillige rekrutieren, Tür-zu-Tür-Routen füllen, Termine takten, Rückfragen kanalisieren. Die Kette lautet: Reichweite → Registrierung → Routine. Jeder Clip hatte einen Anschluss: ein Treffpunkt, eine Aufgabe, eine Uhrzeit. So wird Aufmerksamkeit in Handlung übersetzt – und aus Klicks werden Kapazitäten.
Drittens: „Analog proof of digital life“. Die vielleicht wichtigste Pointe: Jedes Online-Versprechen bekam ein offline sichtbares Gegenstück. Kiez-Walks, Hausversammlungen, Auftritte mit lokalen Partnern – Momente, in denen die digitale Erzählung physisch stattfindet. Das neutralisiert das verbreitete Misstrauen gegenüber „Netz-Politiker*innen“ und entzieht KI-glänzenden Effekten den Zauber. Echtheit schlägt Effekte.
Was folgt daraus für zB. Österreich? Wie könnte man Ähnliches hierzulande aufziehen? Ich würde drei bildkräftige Themen wählen:
Wohnen. Ein 30-Sekunden-Clip mit nur einer Botschaft, einem Ort, einer Zahl: „In der [Straße/Block] haben sich die Mieten in fünf Jahren um X % erhöht. Wir frieren sie für Y Zeiträume ein – hier ist der Mechanismus, hier die Anlaufstelle.“ Der Anschluss ist kein Like, sondern ein Termin: „Mieter*innen-Sprechstunde am Donnerstag, 18 Uhr, Eingang Hof rechts.“
Öffentlicher Verkehr. Nicht der große Imagefilm, sondern eine Haltestelle, eine Taktung, ein Ticketpreis. „Linie X fährt abends nur jede 20 Minuten – wir ziehen auf 10 an. Das spart täglich Y Minuten und Z Euro. Hier kannst du dich für den Pilotversuch eintragen.“ Social liefert die Taktik; der Test vor Ort liefert die Beglaubigung.
Kinderbetreuung. Keine abstrakten „Familienpakete“. Stattdessen der konkrete Alltag: „In [Bezirk] fehlen X Plätze. Wir öffnen Y Gruppen – hier, hier und hier. Anmeldung ab Datum Z, Infoabend am [Ort/Uhrzeit].“ Wieder: ein sichtbarer Ort, eine Prozentzahl, eine Handlung.
Gilt das nur für Bewegungen und Kampagnen mit großen Teams? Nein – im Gegenteil. Gerade unter knappen Ressourcen funktionieren klare, serielle Formate am besten. Man braucht keine teuren Sets, sondern Wiedererkennbarkeit: ein einheitlicher Bildausschnitt, ein Ton, ein Textbaustein („Ort–Zahl–Person–Forderung–Call-to-Action“). Man braucht keine weltrekordverdächtigen KPIs, sondern verlässliche Anschlussaktionen. Das Skalierungsobjekt ist nicht der Clip, sondern die Routine dahinter.
Der häufigste Einwand lautet: „Aber Algorithmen sind unberechenbar.“ Stimmt – und gerade deshalb muss die digitale Produktion an die analoge Infrastruktur andocken. Wenn ein Clip nicht performt, darf nicht die gesamte Woche verrutschen. Wenn er performt, muss die Logistik ihn „auffangen“: mehr Schichten, mehr Tische, mehr Stifte. Social ist der Hebel, nicht der Tempel.
Ein zweiter Einwand: „Ohne Hochglanz sticht man nicht durch.“ Die Erfahrung der letzten Jahre spricht dagegen. Synthetische KI-Ästhetik erzeugt kurze Aufmerksamkeit, aber kein Vertrauen. Entscheidend ist die Indexikalität – das Nachweisbare, der Ort, die Person, die Zahl. Nüchtern produziert, sauber geschnitten, klar betextet schlägt in der Regel das Effekthascherische. Nicht, weil es schöner wäre, sondern weil es glaubwürdiger ist.
Am Ende steht eine einfache Maxime: Erst Substanz, dann das Reel. Wer politische Kommunikation so baut, wird nicht jeden Tag viral – er wird verlässlich. Das ist in Zeiten brüchiger Öffentlichkeit wertvoller als der nächste Hit. Für Österreich heißt das: Die digitale Arena ist keine eigene Welt. Sie ist die Verstärkeranlage für das, was vor Ort passiert – oder eben nicht passiert. Politik, die man sehen kann, wird gewählt. Der Rest bleibt Content.